Was ist liberale Theologie? Was ist theologischer Liberalismus? Hier findest du 7 Merkmale liberaler Theologie!
Wie jeder „-ismus“ ist auch der Liberalismus nicht leicht einzuordnen oder in klare Schubladen zu stecken. Doch mit Hilfe eines Artikels von Kevin DeYoung, der sich auf Garry Dorriens Trilogie „The Making of American Liberal Theology“ stützt, sollen hier 7 Merkmale liberaler Theologie aufgezeigt werden. Die Darstellung gibt ein stimmiges Bild einer Bewegung, die durch hermeneutische und soziologische Festlegungen gekennzeichnet ist.
Auch wenn man liberale Theologie vermeiden möchte, ist es weise etwas über eine Bewegung zu wissen, die in den letzten zweihundert Jahren einen so großen Einfluss ausgeübt hat. Gerade dann sollte man sie kennen!
Im Folgenden sind sieben Merkmale des Liberalismus aufgeführt, die aus dem ersten Band von Dorriens Trilogie stammen. Der eingerückte Text ist aus dem Buch entnommen und übersetzt. Die Unterstreichungen und Ergänzungen in eckigen Klammern sind von mir.
1. Christlicher Glaube basiert nicht auf externen Autoritäten
Die Idee der liberalen Theologie ist fast drei Jahrhunderte alt. Im Wesentlichen geht es um die Idee, dass die christliche Theologie wirklich christlich sein kann, ohne sich auf externe Autorität [auf die Offenbarung Gottes] zu stützen. Seit dem 18. Jahrhundert haben liberale christliche Denker argumentiert, dass Religion modern und fortschrittlich sein sollte und dass die Bedeutung des Christentums vom Standpunkt des modernen Wissens und der modernen Erfahrung aus interpretiert werden sollte. (xii)
Darüber hinaus erkennt Dorrien, dass diese Ablehnung etwas Neues in der Geschichte der Kirche ist:
Vor der Neuzeit wurden alle christlichen Theologien in einem Haus der Autorität errichtet. Alle vormodernen christlichen Theologien erhoben Ansprüche auf autoritäre Orthodoxie. Sogar die mystischen und mythopoetischen Theologien, die das vormoderne Christentum hervorbrachte, nahmen die Ansicht der Schrift als unfehlbare Offenbarung und die Betrachtung der Theologie als Erklärung der verkündeten Offenbarung für selbstverständlich.
Die reformierte und lutherische Orthodoxie verschärfte das reformatorische Prinzip, dass die Schrift die einzige und unfehlbar ausreichende Glaubensregel ist. Sie lehrt, dass die Schrift auch in allem, was sie behauptet, strikt unfehlbar ist [sola scriptura]. (xv)
Die entscheidende Frage ist also: Hat Gott sich letztgültig offenbart oder dürfen wir uns unseren Glauben selbst zusammenschustern?
2. Das Christentum ist eine Bewegung der gesellschaftlichen Wiederherstellung
Eine der einflussreichsten Definitionen des theologischen Liberalismus wurde 1949 von Daniel Day Williams, einem späteren Befürworter, angeboten: Mit „liberaler Theologie“ meine ich die Bewegung im modernen Protestantismus, die im 19. Jahrhundert versuchte, das christliche Denken mit der evolutionären Weltsicht, den Bewegungen der gesellschaftlichen Wiederherstellung und den Erwartungen an eine bessere Welt, die den allgemeinen Verstand beherrschte, in eine organische Einheit zu bringen. Es ist diese Form des christlichen Glaubens, in der eine prophetisch-progressive Geschichtsphilosophie in der Erwartung des Kommens des Reiches Gottes auf Erden gipfelt„. (xiv)
Liberalen Theologen geht es vor allem um diese Welt. Die Ewigkeit in Gottes jenseitiger Herrlichkeit oder in der Hölle wird geleugnet. Wie kann man auch Aussagen darüber machen, wenn man jegliche übernatürliche Wahrheit in der Offenbarung Gottes anzweifelt?
Der Auftrag der Gemeinde und das Reich Gottes ist dementsprechend nur diesseitig und der Mensch verliert jeden Trost über den Tod hinaus.
3. Das Christentum muss relevant und glaubwürdig sein
Konkret definiert sich die liberale Theologie durch ihre Offenheit gegenüber den Urteilen der modernen intellektuellen Forschung, vor allem den Natur- und Sozialwissenschaften; Ihr Bekenntnis zur Autorität der individuellen Vernunft und Erfahrung, ihre Auffassung vom Christentum als einer ethischen Lebensweise; ihre Bevorzugung moralischer Versöhnungskonzepte; und ihre Verpflichtung, das Christentum glaubwürdig und sozial relevant für moderne Menschen zu machen. (xxiii)
Damit wird die Hermeneutik (Auslegungslehre) und gesamte Theologie dem Zeitgeist unterworfen. Die Popularwissenschaften bestimmen das Denken und Handeln liberaler Theologen. Heute ist dieses wahr. Morgen jenes.
4. Die Wahrheit kann nur durch wechselnde Symbole und Formen erkannt werden
Bushnell mahnte, dass „all unsere Schwierigkeiten und Kontroversen“ in Bezug auf die Wahrheiten der Offenbarung durch ein grundlegendes Versagen verursacht wurden: Man stellt sich nicht der „Bekleidung“ der Wahrheiten in Zeichen und Analogien. Das Problem sei nicht nur der Theologie Neuenglands eigen, sondern eine „fast universale Sünde, die die Überlegungen der Menschheit über moralische und spirituelle Themen befällt“. Überall auf der Welt behandeln die Menschen die symbolischen Formen ihrer Wahrheiten wie die Wahrheiten selbst. (151)
Konkret heißt das, dass die Aussagen der Bibel so weit auf ein Produkt der jeweiligen Zeit reduziert werden, bis die Wahrheit dem Ausleger in sein Denkschema passt. Dies nennt man auch „Kontextualisierung“.
5. Bei theologischen Kontroversen geht es um die Sprache, nicht um Wahrheit
Bushnell debattierte mit seinen Gegnern über verschiedene Lehrmeinungen und behauptete dabei immer, dass ihre Meinungsverschiedenheiten sich auf den Sprachgebrauch bezogen, nicht auf den Mangel an Glauben: „Alle meine vermeintlichen Häresien [Irrlehren], in Bezug auf diese großen Themen, werden durch die Hemmnis von Spekulationen und die Nichtanerkennung dieser konstruktiven Urteile oder a priori Argumente verursacht, durch die Begriffe, die nur Analogien sind, und Geheimnisse, die am bedeutendsten sind, wenn sie nur als Zeichen angesehen werden, die dazu gemacht sind etwas Weiseres und Genaueres zu bejahen, als das, was sie ausdrücken.” (151-52)
Etwas kompliziert, aber die Quintessenz ist: Der Text soll dich dazu führen eigene Wahrheiten zu erkennen und nicht bestimmte Wahrheiten transportieren. Die Sprache hat immer ihre ganz subjektive Wirkung. Entscheidend sei die eigene Erfahrung.
6. Die historischen Genauigkeiten der biblischen Fakten und Ereignisse sind nicht entscheidend
Er warnte davor, dass der gläubige Leser der Bibel nicht verpflichtet sei, die Wahrheit der Evangelienberichte anzunehmen „durch die uns die Art und Weise und die Fakten des Lebens von Jesus berichtet werden“. Das war der entscheidende Punkt: „Wir nehmen die Darstellungen selbst nur als das an, was sie sind, und entdecken ihre notwendige Wahrheit in dem transzendenten, wundersam offensichtlichen Bild von göttlicher Exzellenz und Schönheit, das in ihnen gezeigt ist“. (399)
Die äußerliche Form ist der liberalen Theologie zweitrangig, solange die dahinterstehende Idee oder das Bild des Ganzen erkannt wird. Deshalb wird die Bibel hinten und vorne angezweifelt.
7. Die wahre Religion ist der Weg Christi, nicht irgendwelche besonderen Lehren über Christus
Das Wort Christi ist keine Lehre oder die Entscheidung bei einer Auseinandersetzung, sondern ein sich selbst bestätigendes Leben; es ist eine moralisch erneuerte geistige Kraft, die im Geist Christi beansprucht wird… Die Bushnellianer betonten über ihren Mentor hinaus die Menschlichkeit Christi; Munger und Gladden hoben die Lehre Jesu (seine Verkündigung) über alle Lehren seiner Person. (399-400)
Dorrien beobachtet, dass diese Art von Religion eine Abkehr von der historischen Orthodoxie war:
Die traditionellen protestantischen Orthodoxien stellen die stellvertretende Sühne Christi in den Mittelpunkt des Christentums und betrachten den Tod Christi als Versöhnungsopfer, das stellvertretend die vergeltenden Forderungen der göttlichen Gerechtigkeit erfüllt. (400)
Fazit: 7 Merkmale liberaler Theologie
Der Liberalismus ist kein Schimpfwort mit dem man um sich schmeißen sollte. Es ist eine vielfältige, aber identifizierbare Annäherung an das Christentum, die sich deutlich von der historischen Orthodoxie unterscheidet, ganz zu schweigen von dem Evangelikalismus und dem Fundamentalismus.
Die Liberalen glauben, dass sie das Christentum relevant, glaubwürdig, nützlich und menschlich machen. Konservative und Evangelikale in der Linie von J. Gresham Machen glauben, dass sie etwas anderes als das Christentum machen. Das war die Trennlinie vor einem Jahrhundert – und die Spaltung hält an – quer durch alle Gemeindebünde und Denominationen.
Ich freue mich über Fragen, Ergänzungen, kritische Rückmeldungen und Übersetzungskorrekturen 🙂 Danke David für deine Übersetzung!
Vielen Dank für diese erklärende Zusammenfassung. Insbesondere dieser Punkt ist in Diskussionen hilfreich:
„…Es ist eine vielfältige, aber identifizierbare…“
Ansonsten bringt mir diese Darstellung wieder einmal mehr vor Augen, wie uninteressant ich die liberale Theologie finde. Denn vor lauter Kleiderschau um die Wahrheit bleibt mir letztere gerade dadurch verborgen, weil sie sich – axiomatisch in der Betrachtung – nie konkretisiert. Dem gegenüber hat sie in Jesus Christus wegweisende Form angenommen:
6Jesus spricht zu ihm: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich, Joh 14,6.
Liberale Theologie ist ein Begriff der oft falsch verstanden wird.
Es wird als Vorwurf von Freikirchen gegenüber traditionellen Kirchen benutzt. Umgekehrt gibt es Christen die sagen wir sind Liberal weil sie nicht evangelikal oder charismatisch eingeordnet werden wollen.
Wenn man sich Schleiermacher anschaut sieht man einen Theologen der aus dem Herrnhuter Pietismus heraus einen eigenen Weg sucht. Er ist fasziniert das die Ethik Jesu schon in China in der goldenen Regel gelehrt wurde. Wenn man seine Literatur liest hat man den Eindruck, daß der Beamte Professor die Volksfrömmigkeit braven möchte und in den Preußenstaat einordnet. Der Pfarrer als dem Staat verpflicht Beamter hat das religiöse Gefühl seiner Schäfchen sind so zu pflegen, dass der König bzw der Kaiser einen reibungslosen Staat aufbaut. So entsteht der Kulturprotestantismus.
Tatsächlich ist die Weisheit der Völker nicht mehr im Blick gewesen. Im AT gibt es ein Dialog zwischen Offenbahrung und der Weisheit der Völker. Dieser Dialog ist geschwächt durch die Christianisierung (Zerstörung der Stammesstrukturen und Unterwerfung unter das römische Reich (später deutscher Nation) der evangelisieren Heiden). Eine echte Mission ist trinitarische.Neben der Bekehrung(2.Art.), gibt es die Kirche (2.Arti.) und die Kultur und Weisheit der missionierten Nation (3.Artikel). So wurde oft der Schöpfername der alten Religion für den Vater Jesu verwendet und die Kultur steht im Gespräch mit dem Evangelium. Dieser Prozess heißt Inkulturation des Evangeliums. Die Liberale Theologie holt im Ramen des ersten Artikel die Kultur (auch Vorchristlich) in die Kirche. So könnte die Liberale Theologie einen positiven Beitrag haben. Wenn die natürliche Offenbahrung die Offenbahrung die in Israel begann und in Jesus Christus gipfelt wegschiebt, könnte ein verborgener Antisemitismus eine Rolle spielen . Es ist nicht mehr weit zu Grundmann der versuchte nachzuweisen, das Jesus ein Arier ist.In AT -Theologie ist es üblich, dass Schöpfung im AT mit Schöpfungsmythen der Hochkulturen verglichen werden. Die Primärkulturen werden ausgeklammert den Stammeskulturen sind ja primitiv. Gerade Israel steht in beiden Traditionen und tradiert den Dialog zwischen Primär und Sekundärkultur. Wer auf diesem jüdischen Weg bleibt lernt das Staunen an der Schöpfung (Primärk.) Die Sekundärkultur ordnet den Menschen mit den Mythenin ein Staatssystem ein. Es ist das Reich und damit die Vergötterung der Herrscher. Liberal wäre dann, der Theologe der durch einseitigen Vergleich der Schöpfungsgeschichten mit Schöpfungsmythen von Hochkulturen eine Staatsnahe Schöpfungstheologie entwirft. Die Öffnung des staunen fehlt und erst recht der Dialog mit dem Offenbahrungsträger Israel.
Weder die Überbetonung von natürlicher Offenbahrung noch die Isolation von direkter Offenbahrung sind der Weg. Echte theologische Arbeit orientiert sich and der Theologie die uns in der Bibel begegnet. Sie ist eine Theologie, die die Offenbahrung des AT und NT und zuletzt in Jesus Christus achtet und buchstabiert und zugleich unter den Völkern ins Gespräch bringt. Die Weisheitsliteratur der Bibel zeigt uns diesen Weg zwischen Glaube in Israel und Weisheit der Völker. In diesem Sinn möchte ich kein liberaler kein evangelikaler, kein orthodoxer Theloge sein. Ich möchte Nachfolger Christ sein und damit zuerst die Offenbahrung Jesu Christi glauben und diesen in Zusammenhang stellen also in Dialog zuerst mit Israel als nächstes mit allen Christen Freikirche bis vorcaldenzische Ostkirchen und dann mit dem was Gott den Heiden schon offenbart hat. Letzteres darf die Israelanbindung nicht überholen weil es Gottes Ratschluss war seinen Sohn in Israel Mensch werden zu lassen.
Dieter Grahl luth. Pfarrer fast 10Jahre Missionar unter Roma in Rumänien
Natürlich ist die Kultur der Völker dem 1. Artikel zuzuordnen
Dieter Grahl
Und Kirche dem 3. Artikel zuzuordnen