Jemand fand ein Adlerei und legte es in das Nest einer gewöhnlichen Henne. Das Adlerkind schlüpfte zusammen mit den Hühnerküken aus dem Ei und wuchs mit ihnen heran. Sein ganzes Leben benahm sich der Adler wie ein Huhn. Er pickte in der Erde nach Würmern und suchte Körner und gluckte und gackerte wie die Hühner im Hinterhof.
Die Jahre vergingen. Eines Tages sah er einen herrlichen Vogel hoch oben im wolkenlosen Himmel kreisen. Anmutig und majestätisch zugleich zog der große Vogel seine Kreise und schwebte lautlos und leicht durch die Lüfte. „Wer ist das?” fragte er sein Nebenhuhn. „Das ist der Adler, der König der Lüfte!” sagte das Huhn. „Aber reg dich nicht auf! Wir Hühner sind von anderer Art.” Also dachte der Adler nicht weiter an den königlichen Vogel. Er starb schließlich im Hinterhof in dem Glauben, ein gewöhnliches Huhn zu sein.
Wer sind wir? Was unsere Umgebung aus uns macht? Das, was andere in uns hineinsehen und uns damit prägen? Oder sind wir wirklich, was Gott in uns hineingelegt hat, seine königlichen Kinder? Bleiben wir ein Dreckspatz auf dem Misthaufen vor dem Haus oder ein armes Huhn im Hof hinter dem Haus? Oder werden wir Gottes Kinder, die sich wie Adler erheben und der Sonne entgegenfliegen?
Aus Axel Kühner – Eine Gute Minute