Meiner Oma Lyda Janke habe ich mehr zu verdanken, als ich erahnen kann. Deshalb schreibe ich hier einen persönlichen Nachruf, der auch zu Gottes Ehre dienen möge.
Lydia Janke kam als dritte von fünf Kindern von Alexander und Katharina Rotermel 1933 in Bogoslovka (Altai, Russland) zur Welt. Ihre Kindheit war von viel Leid und Entbehrung gekennzeichnet.
Mit vier Jahren wurden sie wie fast alle Deutschen in der Sowjetunion zwangsumgesiedelt. Sie mussten in Krupskoje neu anfangen. Dann wurde ihr Vater in die Trudarmee eingezogen. Obwohl er zwischenzeitlich krank wiederkam, ist er dort auch verstorben.
Lydia musste mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern in sehr ärmlichen Verhältnissen aufwachsen und litt als Deutsche schwer unter den Repressalien der Russen. Es war ihr höchst unangenehm zu erzählen, dass sie als kleines Kind mit ihrer Mutter betteln musste, um zu überleben.
Nachdem sie nur fünf Jahre die Schule besuchte, hat sie verschiedene Arbeiten in der Landwirtschaft verrichten müssen. Von dieser harten Arbeit in der prallen Sonne auf dem Feld erzählte sie öfter.
Jetzt frage ich mich, warum ich mich nicht mehr für diese für uns unvorstellbare Zeit interessiert habe. Ist das Lesen eines Buches über diese Zeit besser als das persönliche Gespräch mit einem Beteiligten? Ich glaube nicht. Wie viel hätte ich von den persönlichen Erfahrungen von ihrer gläubigen Familie in Extremsituationen lernen können?
Ich habe nur oberflächlich mitbekommen, dass sich die Gläubigen unerlaubt möglichst unauffällig in den Privathäusern trafen und Angst hatten entdeckt zu werden. Auch im Haus meiner Großmutter hat man sich beständig dieser Gefahr ausgesetzt, weil der Glaube einem kostbarer war, als ein angenehmes Leben…
In ihrer Jugendzeit lernte sie Artur Janke kennen, der ein guter Freund ihres Bruders war. Ihn hat sie mit 18 Jahren geheiratet. Lydia Janke und ihrem Mann Artur wurden sechs Kinder geschenkt. Ihnen folgten 14 Enkelkinder und 16 Urenkel.
Lydia liebte ihre Familie und opferte sich ganz für sie auf. Von früh morgens bis spät abends hat sie gearbeitet, um für Ihre Familie zu sorgen. Sie war sehr sparsam und konnte gut wirtschaften und so musste niemand hungern oder an Armut leiden.
Mit 56 Jahren, 1989, ist sie mit ihrer Familie nach Deutschland ausgewandert. Hier begann der Aufbau von Vorne.
Auch auf viele ihrer Enkelkinder hat sie aufgepasst und sich sehr für den Zusammenhalt der Familie eingesetzt. Ich kann mich nicht mehr an die gemeinsame Zeit mit ihr erinnern (ich bin sehr vergesslich), aber ich weiß, dass sie fleißig gekocht hat und mir das Lied „Weil ich Jesu Schäflein bin“ beigebracht hat.
Es wurde von der großen Familie (worunter wir die ganze Verwandtschaft verstehen) erwartet, dass alle zu den Geburtstagsfeiern und allerlei Festen kommen. Und angesichts der großen Verwandtschaft gibt es solche Anlässe häufig (mindestens 1-2x wöchentlich)! Sie genoss gern gutes Essen am Liebsten mit ihren Gästen oder in Gesellschaft ihrer großen Familie.
Es gibt einige in meinem Bekanntenkreis, die mich um unseren Familienzusammenhalt beneiden. Ich bin stolz auf meine große Familie. Für mich ist es kaum nachvollziehbar, warum so viele Menschen nur wenig Kontakt zu ihrer Verwandtschaft haben. Wird sich die Verbundenheit bei uns nun verändern?
Sie war eine starke Persönlichkeit: Direkt, durchsetzungsstark, rational und manchmal auch hart. Aber auch interessiert an den Menschen, eine gute Beobachterin, wissbegierig, hilfsbereit und fürsorglich. Sie war aktiv und furchtlos, ob im Fußballspiel mit ihren Enkeln, beim Achterbahn- oder Schlittenfahren.
Ich saß einmal mit ihr in der Achterbahn. Alle Menschen schrien, als es hinab ging – außer meine Oma. Als ich sie danach fragte, warum sie nicht geschrieen hat, meinte sie ganz trocken: „Das nützt doch auch nichts.“ 😀
Lydia Janke wird für viele von uns vor allem als Frau des Glaubens in Erinnerung bleiben. Von klein auf im Glauben erzogen, hat sie sich durch ihre Treue zur Gemeinde und das konsequente Leben des Glaubens im Alltag ausgezeichnet.
Sie war eine hingebungsvolle Beterin. Oft hörte man sie laut und mit großer Ernsthaftigkeit für ihre Kinder und Enkelkinder, sowie ihre Mitmenschen beten. Das hat mich besonders an ihr beeindruckt. Ich kenne keinen anderen Menschen, der mit solch einer Ehrfurcht und solch einer Intensität mit dem himmlischen Vater gesprochen hat.
Meine Cousine erinnerte mich jetzt daran, wie regelmäßig und wie lange sie gebetet hat. Für uns Kinder war das eine halbe Ewigkeit auf den Knien. 🙂
Lydia Janke hatte großen Hunger nach Gottes Wort. Wenn es irgendwie möglich war, besuchte sie alle Gottesdienste, Versammlungen und Anlässe, wo das Wort Gottes gepredigt wurde. Egal welcher Bekannte gestorben war – sie fand jemanden, der sie zur Beerdigung brachte.
Auch Zuhause hörte und las sie Gottes Worte. Sie war (mangels Schulbildung) nicht gebildet, aber sie las täglich Erbauungsliteratur und die Bibel. Eine große Ehrfurcht und Liebe zu ihrem Herrn Jesus Christus waren aus ihrem Reden, Singen und Handeln herauszuhören.
Auch Lydia Janke war nicht perfekt oder schuldlos. Auch sie hatte wie ich und jeder von uns ihre Schwächen. Gerade aufgrund ihrer Persönlichkeit eckte sie manchmal an oder verletzte Menschen, die sie lieb hatte. Sie ist kein Kind Gottes, weil sie so eine tolle Frau war. Weil sie glaubte, ist sie ein Kind Gottes und so eine tolle Frau. Gnade gewinnt!
Ihr Glaube gab Ihr die Kraft die traurigen Wendungen in Ihrem Leben zu überwinden. Der Tod ihres ältesten Sohnes Viktor hat sie schwer mitgenommen (Bild unten). Die Krankheit ihres Ehemannes kam hier in Deutschland hinzu. Außerdem kämpfte sie auch selbst immer wieder mit Herz- und Knieproblemen.
Vielleicht ist ihr gerade deshalb dieses Lied „Was Gott tut, das ist wohlgetan“ bei einer Beerdigung so wichtig gewesen. Sie rang mit dem Willen Gottes und durfte erkennen, dass er immer gut ist! Sie bat mich es bei den Beerdigungen, die ich halte, dieses Lied immer singen zu lassen. Darin heißt es:
Was Gott tut, das ist wohlgetan,
dabei will ich verbleiben.
Es mag mich auf die raue Bahn
Not, Tod und Elend treiben,
so wird Gott mich ganz väterlich
in seinen Armen halten;
drum lass ich ihn nur walten.
In den letzten Jahren und besonders den letzten Monaten, war sie sehr erschöpft und lebenssatt. Sie wollte gerne heim zu ihrem Herrn Jesus.
Am 9.01. dieses Jahres bekam Lydia erneut einen Herzinfarkt. Bevor sie operiert wurde, bat sie ihre Mitmenschen ihr alles zu verzeihen und ihre Kinder gut für ihren Mann zu sorgen. Dann vertraute sie sich Gott im Gebet an und wurde operiert.
Nach der Operation lag sie 45 Tage im Koma, zwischen Leben und Tod. Die Verwandtschaft und Gemeinde hat gehofft und gebangt und ihr gleichzeitig die Erlösung gewünscht. Am 24.02.2017 wurde sie von ihrem Leiden befreit und ist heimgegangen. Lydia Janke ist im Alter von 84 Jahren gestorben.
Durch meine Oma kam ich in die Gemeinde und dadurch zum Glauben. Durch meine Oma wurde ich beständig auf Gebetshänden getragen. Durch meine Oma habe ich unbezahlbar viel gelernt. Für mich ist sie ist ein beeindruckendes Vorbild im Glauben.
Ich verliere einen der für mich wichtigsten Menschen. Jedoch nur für eine kurze Zeit! Bald darf ich sie wiedersehen. Darauf freue ich mich, wenn wir vereint bei Jesus sein werden und schauen werden, was wir geglaubt haben.
Danke Oma! Danke Jesus!
Praktisches, wie in 2. Tim. 1, 5 auch. Aus dem Timotheus (mit/durch seiner Großmutter anteilig) wurde lt. 1. Tim. 6,12 ein KÄMPFER.
Glückselig sind die Toten, die im Herrn sterben, von nun an! Ja, spricht der Geist, sie sollen ruhen von ihren Mühen; ihre Werke aber folgen ihnen nach. Offb. 14,13